Lange Zeit dachte ich, dass ich als Läufer eine Ausnahme unter den Morbus Bechterew kranken bin. Aber inzwischen weiß es ich dank Socialmedia und Google besser. Es gibt nämlich unzählige laufende Leidensgenossen. Zwar bleiben viele unerkannt, doch gibt es auch laufende Blogger unter Ihnen. Von diesen möchte ich dir einige interessante Persönlichkeiten kurz vorstellen.
Für den Anfang konnte ich Thomas Nölle gewinnen. Auf Thomas bin ich seine Facebookseite „Mobus Bechterew und trotzdem fit“ gestoßen. Eine Seite die vor allem eines im Sinn hat, nämlich Motivation für andere Leidensgenossen aber auch durch Feedback für ihn selbst, denn er hat es oft nicht leicht, aber dass soll er selbst darstellen. Deshalb nachfolgend das schriftliche Interview mit ihm:
Thomas stell dich bitte mal kurz vor!
Mein Name ist Thomas Nölle, 43 Jahre, verheiratet, eine Tochter und vom Beruf her Groß- und Außenhandelskaufmann.
Wann und wie begann deine Leidensgeschichte?
Meinen ersten Schmerzschub bekam ich mit meinem 8 Lebensjahr. Ein Rheumaschub im Finger… Danach 4 Jahre nichts. Mit dem 12. Lebensjahr ging es richtig los. Fersen, Finger, Handgelenke, Zehen, usw. alles schwoll an. Vom 12. bis 18. Lebensjahr war ich deswegen 15 mal im Krankenhaus. Mein Morbus Bechterew begann mit dem 23. Lebensjahr. Ausgelöst wahrscheinlich Durch einen Selbstmordversuch meiner damaligen Freundin. Ich war psychisch so im Stress, dass er wahrscheinlich deswegen ausbrach. Starke Isiosakralschmerzen die relativ schnell mit Diclofenac behandelt wurden und dann gut auszuhalten waren. Die Diagnose kam relativ schnell, da mein Vater sowie meine Mutter beide Morbus Bechterew hatten und es eigentlich schon auf der Hand lag. Zu dem das jugendliche Rheuma.
Wie schränkt dich deine Krankheit im Alltag ein?
Also da kann ich eigentlich so jede Antwort geben. Als ich begriff das ich Morbus Bechterew hatte, war ich psychisch sehr daneben, war aber zudem Zeitpunkt im Leistungssport unterwegs. Ich war International im Schießsport tätig und trainierte 5-7 mal die Woche. Da kann man solche Probleme verdrängen. Dies gelang mir gute 10 Jahre, bis der Schmerz dann übermächtig wurde. Nach dem Tot meines Vaters 2001 verlor ich den Boden unter den Füßen. Ich trennte mich kurz danach von meiner damaligen Frau (nach nur 6 Monaten Ehe). 2002 ging ich am Gehstock. Ich konnte mich kaum noch bewegen, nahm mittlerweile Indometazin, weil ich gegen Diclofenac eine Immunität entwickelt hatte. 2002 bis 2005 war der reinste Horror. Täglich starke Schmerzen, kein Sport, Gewichtszunahme und psychisch völlig daneben. 2005 wurde meine Tochter geboren. In der Klinik (wurde mal wieder noteingewiesen) beschloss ich mein Leben zu ändern. Ich war wohl am Boden angekommen. Ich sagte meiner Frau das Ziel zu haben irgendwann einen Marathon zu laufen, was ich 7 Jahre später dann auch schaffte. Zwischen 2005 und 2012 lief alles wirklich gut. Ich strebte diesem Ziel nach mein Leben nach und nach umzustellen, schlechte Gewohnheiten fallen zu lassen und meine Denkweise auf grundsätzlich POSITIV umzustellen. 2012 lief ich 2 Marathons sowie 2 Halbmarathons und einen 10KM-Lauf. Die Frage also wie mich meine Krankheit im Alltag einschränkt hing bei MIR zumindest immer nur von der psychischen Verfassung ab. Mein „Schober“, also meine Beweglichkeit war in guten Phasen völlig uneingeschränkt, in Schubphasen konnte ich keine 10 Meter gehen.
Wie bist du zum Laufen gekommen und was bedeutet es für dich?
Zum Laufen bin ich wie gesagt durch eine willentliche Lebensveränderung gekommen. Eine Trotzreaktion aus diesem Schmerzzyklus rauszukommen. Ich konnte dies nicht mehr akzeptieren mit 35 Jahren am Gehstock zu laufen. Laufen ist meine Passion geworden. Es geht mir beim Laufen um Freiheit, Selbstbestimmung, Glück und Lebensenergie. Es kommt mir nur in zweiter Linie auf Zeiten an… Platzierungen sind mir völlig egal, denn den Marathon des Lebens gewinnen nicht die schnellsten sondern die Hartnäckigsten.
Betreibst du weitere Sportarten, wenn ja, welche und warum?
Aktiv habe ich früher den Schießsport betrieben, Anfangs aus einer Notdurft, da ich Fußballl aufgrund meines kindlichen Rheumas nicht mehr ausführen konnte, später aus Leidenschaft.Ich war Mitglied des NRW Kaders, mehrere Male unter den besten 10 bei den Deuschen Meisterschaften und schoß Bundesliga im Jahr 1998. Derzeit trainiere ich ein sehr erflogreiches Team namens SV Kamen. 2009 begann ich den Trainerjob mit der Vision eine Mannschaft zu gründen, welche es von der untersten bis in die oberste Liga innerhalb kürzester Zeit schaffen soll. Derzeit sind wir im 5. Jahr bereits beste NRW Mannschaft und wollen dieses Jahr den Sprung in die 2. Liga schaffen. Mit Olymiateilnehmern aus Polen, Belgien, den Niederlanden und weitern deutschen Spitzenschützen soll uns das gelingen. Unser Motto hieß… Sei dabei auf dem weg zur Spitze…! Mentalsport ist faszinierend.
Nimmst du Medikamente und falls ja, welche und warum?
Momentan nehme ich nur noch INDOMETACIN als Antirheumatikum. Mein Ziel ist es einen Weg zu finden auch davon noch los zu kommen. Ein Leben ohne Medikamente ist mein persönlicher Marathon. Bis vor kurzem nahm ich über 10 Jahre TRAMADOL, INDOMETACIN, SULFASALAZIN, sowie AMINEURIN ein. Ein Cocktail der mich zwangsläufig irgendwann kaputt gemacht hätte. Das Tramadol nahm ich 2005 ein weil die Schmerzen für mich nicht mehr auszuhalten waren.Tramadol kappt das Schmerzempfinden zum Gehirn, aber der Schmerz besteht weiterhin, nur du bekommst es einfach nicht mehr mit. Eigentlich klar denn hinter jeder meiner Tabletten versteckten sich 4000 mg PARACETAMOL. Gegen Ende des Tablettenwahnsinns hatte ich jedes mal einen Brechreiz wenn ich sie geschluckt habe. Du kannst den Medikamenten nur entgehen wenn du zu 1000% positiv lebst und alle Therapien voll ausnutzt.
Wie stehst du zum Thema Laufen unter Schmerzmittel?
Bei einem gesunden Menschen finde ich es Betrug an Anderen und Betrug an sich selbst. Es ist gelinde gesagt Doping. Bei einem kranken Menschen ist es Eigenverantwortung. Man sollte sich vorher explizit erkundigen inwiefern das Gefahren im Sport mit sich bringt. Es sind schon genügend Menschen auf der Laufstrecke gestorben. Ich habe mich durchchecken lassen und das von mehreren Ärzten. Mein Motto war stets so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Schmerzmitteleinnahme hat keine Verbindung für mich um bessere Zeiten zu erlangen oder Distanzen zu schaffen. Im Gegenteil, hätte ich den Schrank voll gehabt um da noch mehr zu machen. Mein Ziel ist es einen Marathon ohne jegliche Medikamente als chronisch kranker zu schaffen, dies habe ich auch schon auf meinem Stammforum Meinsportplatz angekündigt.
Welche Rolle spielt Gymnastik, Stabitraining und Dehnen in deinem Alltag?
Eine große Rolle, aber nicht so wie man es sich wohl vorstellt.Kein morgendliches auf dem Ball hopsen oder so, bin auch in keiner Gruppe, mache keine Wassergymnastik.Ich mach den ganzen Tag Gymnastik.Ich dehne hauptsächlich immer mal wieder zwischendurch.Am Ende eines Tages waren es locker 60 Minuten ohne das ich es gemerkt habe.MTT..medizinische Trainingstherapie als Krafttraining mache ich im Fitneßcenter aber grundsätzlich bei schlechtem Wetter.Bei gutem Wette findet man mich in der Natur …mit Laufschuhen.Viele machen gar nichts , weil sie davor zurückschrecken ganze 30 Minuten hintereinander stupide Übungen zu machen.Braucht man nicht, finde ich…..es kommt darauf an den ganzen Tag fit zu sein und deswegen sollte man lernen die Zeitpuffer zu erwischen und sie zu nützen.
Was ist dein Ansporn an schlechten Tagen?
Es gibt keine schlechten Tage!!! Ich weiß was ich habe und habe gelernt mich auch in der schlimmsten Situation zurecht zu finden, weil ich sie erlebt habe. An Tagen wo Morbus Bechterew mehr mit mir spricht, bin ich bereits in Planung für neue Projekte die mich fordern. Dann merkt der Morbus Bechterew, dass er nichts zu melden hat und verschwindet. Manchmal dauert es eine Zeit.
Ich habe gelernt langfristig zu planen. 75% meiner Projekte scheitern beim ersten Mal, aber ich lerne aus diesem Fehlverhalten und beende alles danach positiv. Dieses Jahr wollte ich meinen ersten Ultramarathon laufen. Ich scheiterte an meiner zu schnellen Herangehensweise. Im Kopf ist alles geplant… 2015 werde ich einen Ultramarathon laufen. Außerdem habe ich eine 8 jährige Tochter… Negativ lernt sie bei uns nicht kennen. Morbus Bechterew ist keine Krankheit. Es ist die Herausforderung Deines Lebens.
Auf welchen Rückhalt baust du?
Ganz klar in erster Linie meine Familie. Meine Frau ist sehr stark, viel stärker als ich. Sie untertützt mich in allen Dingen die ich mache und die sind teilweise sehr extrem. Meine Tochter genauso…Ich sehe auch in ihr einen funkelnden Blitz. Meine Seite Morbus Bechterew und trotzdem fit gibt mir ebenfalls viel Feedback von anderen Mitstreitern. Im Grunde genommen bleibe ich aber in mir weitestgehend ein Einzelgänger, denn es gibt bei so einer Lebensweise zuviel Menschen die es „besser“ wissen.
Wie sieht ein schlechter Bechterew-Tag aus?<7strong>
Unterschiedlich, es kommt auf meine Psyche an, wie ich dazu stehe. Akzeptanz mal etwas für eine bestimmte Zeit nicht zu können und sich in schlechten Momenten die guten Dinge rauszupicken, helfen meist über den Berg. Es gab aber auch schwere Zeiten für mich, wie dieses Jahr im Januar, als ich feststellen musste, dass Morbus Bechterew mir es „noch“ nicht zulässt auf die Ultradistanz zu gehen. Eigentlich gibt es keine schlechten Tage, denn ich habe gelernt mit Schmerz umzugehen, auch heftigste Schübe mit positiver Energie zu überwinden. Man hat manchmal den Eindruck, dass es bei mir gar nicht so schlimm wäre, aber das täuscht. Genügend Noteinweisungen habe ich hinter mir und Schmerzen, die ich meinem schlimmsten Feinden nicht wünschen würde. Es ist ein Gewöhnungsprozess der sich einspielt. Mein Motto: Akzeptiere das Schlimmste und komme damit klar.
Wie sieht ein schöner Bechterew-Tag aus?
Eigentlich ist die Frage schon überflüssig, denn jeder Tag ist es würdig gelebt zu werden. Ich mache es nicht vom Wetter, Aufgaben oder Ähnlichem abhängig. Harmonie in der Familie ist mir das Allerwichtigste, danach kommt lange nichts. Was würde mir ein gesundes Leben geben, wenn ich alleine wäre. Dann lieber öfters Schmerzen, aber eine tolle Familie. Jeder Tag an dem Du nicht lächelst ist ein verlorener Tag sagte mal Charlie Chaplin… Da ist was dran.
Welchen Rat möchtest du anderen Bechterewlern auf dem Weg geben bzw. was ist dein Geheimtipp im Kampf gegen Morbus Bechterew?
„Carpe Diem“, nutze den Tag… Der für mich grundlegende Stein ist der positive Gedanke, nicht die Schönmalerei. Wie kann man Glück empfinden, wenn man Schmerzen hat? Es sind die Kleinigkeiten im Leben, dass was man nicht mit Geld bezahlen kann. Bücher über Wahrnehmungsübungen kann ich nur jedem raten. Sucht nach etwas was euch mit eurer ganzen Leidenschaft erfüllt und geht darin auf. Ablenkung ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. In der Langeweile kommt der Schmerz in seiner heftigsten Form. Zieht alles aus eurem Leben, macht verrückte Dinge und hört letztendlich nur auf euch selbst und nicht auf das was andere euch raten. Ich lebe MEIN Leben und nicht das von Anderen… Deswegen werde ich eines Tage Ultramarathon laufen, haha…
Wie siehst du deine sportliche und gesundheitliche Zukunft?
In meinem ersten Sport dem Schießsport habe ich nahezu 100% erreicht was man so als normal arbeitender Mensch erreichen kann, im Laufsport möchte ich eines Tages regelmäßig im Ultramarathonbereich sein, sprich 24 Stunden Läufe oder vielleicht mal eine Deutschlanddurchquerung sowie Joe Kelly, allerdings übernachte ich in Hotels. Ich setzte mir keine Limits, denn die würden mich in meiner Phantasie begrenzen. Träumt von den unmöglichen Dingen , die bringen euch an mögliche Ziele !
Bei welcher Veranstaltung möchtest du unbedingt teilnehmen und warum?
Also der Berlin Marathon ist es definitiv nicht. Der K72 von Davos scheint mir der reine Wahnsinn oder die 100 km von Biel wären das Non Plus Ultra. Ein guter Freund von mir ist den Marathon Des Sables zweimal bereits gelaufen… Übrigen er wog mal 175 Kilo und hat es geschafft!!!!! Warum will ich das…? Weil ein normales Leben mir nichts bringt. Ich habe ein unnormal schmerzhaftes Leben… Ich verarbeite es durch unnormal schöne Dinge, wie Familie und Sport!!!
Thomas vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast all meine Fragen zu beantworten. Es war einiges dabei, dass ich und sicherlich auch einige Leser mitnehmen können.
Weitere Infos über Thomas Nölle findest du übrigens hier:
- http://www.netzathleten.de/pub/Thomas-Noelle
- http://www.youtube.com/user/MrMaratommy/videos
- https://www.facebook.com/FitTrotzMorbusBechterew
- http://morbusbechterew.jimdo.com/
Sport frei!
Thomas
Eine intensive und interessante Geschichte. Ich bin beeindruckt. Und da haben wir es wie so oft:
Laufsport, Ausdauersport verbindet, befreit, macht glücklich und hilft schwere Lebenssituationen besser zu meistern. Toller Bericht!
Sportliche Grüße Paul
Wunderschön geschriebener Bericht. Er ist authentisch und entspringt einer tiefen Lebenserfahrung. Positive aufbauende Worte die Mut machen.